Unser Lied für Rotterdam – ARD entmündigt Zuschauer

Gestern wurde bestätigt, was die Spatzen bereits von den Dächern pfiffen. Dieses Jahr wird es keinen deutschen Vorentscheid geben und der Beitrag wurde bereits am 12. Dezember vergangenen Jahres unter 600 potentiellen Teilnehmern ausgewählt. So weit, so in Ordnung. Es ist ja immer schwer in einem solchen Konstrukt wie der ARD mit vielen verschiedenen Intendanten einen gemeinsamen Nenner zu finden. So lange alles gut läuft wird es nicht für nötig gehalten einen neuen Weg zu gehen, aber sobald einem der Herren Zweifel kommen, wird das ganze System umgeschmissen.

Ich möchte gerne mal ein paar Aussagen näher betrachten, die Thomas Schreiber, seineszeichen Unterhaltungskoordinator bei der ARD und zuständig für den ESC gegenüber DWDL gestern getätigt hat.

Durch die frühe Entscheidung waren wir auch deutlich frühzeitiger als sonst in der Lage, international renommierte Leute anzusprechen, die Erfahrung mit der Inszenierung eines Music-Acts auf einer Fernsehbühne haben“ – Das mag sich ja zuerst einmal stimmig anhören. Aber die Entscheidung, wann der Vorentscheid stattfindet, liegt ganz bei der ARD und wird nur mit einem groben Zeitrahmen von der EBU vorgegeben. Das heißt es könnte auch genauso gut ein Vorentscheid vor dem 12. Dezember stattfinden und man hätte danach genauso viel Zeit sich um die Inszenierung zu kümmern. Jetzt werden einige sagen dass es aber nicht sonderlich positiv ist, als erstes Land seinen Song vorzustellen. Das mag sein aber im vergangenen Jahr war Albanien, dessen Song bereits im Dezember feststand 17. Das ist jetzt kein überragendes Ergebnis aber immer noch 8 Plätze vor Deutschland. Und wenn der Song seit 12. Dezember feststeht, warum geht man damit nicht früher als dem 27.02. an die Öffentlichkeit. Weil man wohl aus dem Xaviergate gelernt hat. So gibt es gerade mal eine woche bis zum Einsendeschluss der Songs und kaum noch Spielraum um etwaige Bedenken seitens der bubble auszuräumen. Aber noch genug Zeit um bei einer katastrophalen Fehlentscheidung, die es nicht sein wird, umzuschwenken.

Für ein erfolgreiches Abschneiden beim ESC ist es aber entscheidend, eine Einschätzung von denen zu haben, die sich am Voting beim ESC-Finale beteiligen. Dadurch kamen wir auf die 100-köpfige Zuschauer-Jury, die in diesem Jahr zusammen mit einer 20-köpfigen Fachjury den deutschen Act bestimmt.“ – Was genau ist hier der Punkt? Im vergangenen Jahr hatten wir auch eine Expertenjury und 100 ESC Fans die für den Beitrag stimmen konnten. Es kamen nur die Fernsehzuschauer zusätzlich hinzu. Wenn wir das mal weiterspinnen hätte ohne die Zuschauer im vergangenen Jahr Makeda gewonnen. Ob sie besser abgeschnitten hätte? Zumindest fraglich.

Außerdem lässt sich durch das Verhältnis von verschickten SMS zu Anrufen erkennen, dass das Publikum beim Vorentscheid eher älter ist, während es beim ESC genau umgekehrt ist.“ – Ja und woran liegt das, liebe ARD? Trotz gefühlt tausender Spartensender und überflüssigen Programmen schafft es der öffentlich rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht, sich die jüngere Zielgruppe zu sichern. Diese haben ihren Lebensmittelpunkt eher weg von den tradizionellen Omasendern hinzu moderneren Kommunikationsplatformen verlagert, ohne dass ARD und ZDF Wege gefunden haben diese außerhalb ihres Mediums zu erreichen. Das Problem ist also hausgemacht. Und liebe ARD, auch ich schaue als Endvieziger schon lange keinen öffentlichen Rundfunk mehr außer eben den ESC Vorentscheid, bei dem es immer wieder eine Überraschung ist, wie oder ob er stattfindet und auf welchem der vielen Sender man ihn in diesem Jahr findet.

Ist es nicht so, dass sogar wir in der Bubble eher einen Vorentscheid aus Schweden, Norwegen oder Island anschauen, weil sie einfach interessanter sind, als sich ewig die gleichen Phrasen von Barbara Schämeberger oder noch schlimmer Elton anhören zu müssen? Was uns fehlt ist ein vernünftiges Konzept, das auch mal mehrere Jahre hintereinander Bestand hat. Dies könnte dann auch die Personen zurückholen, die gänzlich aus verständlichen Gründen aus den deutschen Vorentscheid verzichten. Ebenso würde man auch vielleicht etabliertere Künstler dafür begeistern können sich mit dem ESC auseinanderzusetzen. Da die Hire & Fire Mentalität der Verantwortlichen reichlich bekannt ist, die Sisters haben sich just aufgelöst, wäre doch jeder einigermaßen etablierte Künstler blöd sich einem Vorentscheid zu stellen. Er kann doch nur dabei verlieren. Nehmen wir mal die größte Unwahrscheinlichkeit als Beispiel: Helene Fischer. Warum sollte sie denn beim ESC antreten? Gewinnt sie werden alle sagen „War ja von vornherein klar dass die gewinnt“ Nutzen für sie: Gleich Null. Wir sie zweite oder schlechter schadet es hart ausgedrückt ihrer Karriere da jeder den Sieg erwartet.

Ich habe wie gesagt gar kein Problem damit dass der Song intern ausgewählt wurde, wobei es ja nicht richtig intern war, wie Herr Schreiber angab, sondern ja durch 120 Experten involviert waren. Nur eben ohne die Zuschauer. Auch hier natürlich ein nettes Detail, denn egal wie der bis jetzt noch unbekannte Interpret mit dem Titel performt, die ARD hat sich wieder clever aus der Affäre gezogen. Gewinnt er war es das bahnbrechende neue Konzept, verliert er, dann waren es natürlich wieder die 120 anderen. Im Westen also nicht viel Neues und nur fadenscheinige Augenwischerei um die Unzulänglichkeit der ARD eine vernünftige Samstagabenshow zu konzipieren, die mehr als die Zielgruppe 50+ anspricht.

Und abschließend ein Appell an die ARD: Seid wenigstens ehrlich und sagt was Sache ist und verkauft uns nicht für dumm. Wir sind teilweise auch schon sehr lange in der Kommunikationsbranche tätig um die Phrasendrescherei schnell zu durchschauen. Vielleicht könnte man sich auch jetzt schon damit beschäftigen, wie man im kommenden Jahr den Vorentscheid ausrichten möchte.

Das war alles was ich zu dem deutschen Vorentscheid in diesem Jahr schreiben werde. Jetzt freue ich mich auf den Beitrag, der dann auch noch einmal ordentlich durchleuchtet wird und hoffe dass es nicht jemand von Platz 8 einer der vielen Castingshows sein wird, sondern ein wirklich etablierter oder zumindest vielversprechender Künstler.

Quelle des Interviews

Deutsche Vorentscheidung, Deutschland, Nationaler Vorentscheid
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Hardung-Sturzebecher
    26. Februar 2020 23:19

    Na dann mal viel Spaß!
    Ohne Zuschauer! Ja dann kann ich mal den Fernseher auslassen und Rotterdem dann ohne meine Daumen!
    Kann nicht mal ein anderer Sender verantwortlich sein für die Songauswahl.
    Ein Sender bitte der den Zuschauern noch traut…..

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